Auge in Auge mit den Containern

Exkursion zum drittgrößtem europäischen Seehafen Hamburg
Die Geschichte des Hamburger Hafens ist bis heute eine Erfolgsstory. Und eine Story, die auf Zehntausenden von Eichenpfählen gründet. Die Information des Tour-Guide zu Beginn der „etwas anderen Hafenrundfahrt“, so der Werbeslogan des Veranstalters Jasper Reisen, zeigt Wirkung. Professor Christian Reichert und zwölf Studenten des Fachbereichs Life Sciences & Engineering sind zumindest überrascht. „Noch nie gehört“, sagt auch Student Philipp Reichelt, im August steht sein Master in Bingen an. „Die müssen doch irgendwann mal kaputtgehen.“ Tun sie aber nicht, solange sie im Wasser stehen. Pfahlgründungen planen Ingenieure überall dort, wo Bauwerkslasten bei nicht tragfähigem Gelände in tiefer liegende, tragfähige Bodenschichten abgetragen werden müssen. Zwischen 1880 und 1915 wurde der Hafen fast ausschließlich mit hölzernen Eichenpfahlgründungen gebaut.
Weltweite Warenströme fließen über den Hamburger Hafen
Die Rundfahrt durch den Hamburger Hafen startet in der historischen Speicherstadt, UNESCO-Weltkulturerbe seit 2015. Die charakteristischen wilhelminischen Backsteinbauten stehen auf besagten, bis zu 25 Meter langen Eichenpfählen. Das ist lange her, Container haben die Kräne, die die Ware in die Speicher hob, abgelöst. Über den Hamburger Hafen fließen täglich weltweite Warenströme. Mit rund 120 Liniendiensten ist er an alle Kontinente angebunden, ein Großteil der weltweit über 1.000 Häfen wird direkt angesteuert. Containerschiffe von bis zu 400 Metern Länge und einer Kapazität von 19.000 Standardcontainern laufen in den Hafen ein, aber auch Frachtschiffe mit besonders großem Ladevolumen für Massengut wie Erz und Kohle finden den Weg über die Elbe hin zu Deutschlands größtem Universalhafen.
Logistische Steuerung aller Verkehrsströme – eine Mammutaufgabe
Die altehrwürdige Speicherstadt, sie ist Vergangenheit, aber auch Gegenwart und Zukunft des Hafens. Zwischenhalt an einem majestätischen Backsteingebäude. „Hamburg Port Authority“ prangt in großen Lettern an der Fassade. 1.800 Ingenieure kümmern sich hier um die gesamte Logistik im Hafen und haben dabei den „Smart Port“ im Visier, den intelligenten Hafen. Big Data und Digitalisierung sollen den Verkehrs- und Warenfluss effizienter machen. Das ist auch dringend nötig. Der Bus hält kurz vor einer überdimensionierten Karte an einer der Zufahrtsstraßen zum Hafen: Man sieht ein Gewirr aus 142 Straßenkilometern, die den Hafen durchziehen. Im Jahr fahren hier Millionen LKW an und ab. Wie all das mit täglich 5.000 Waggons auf 200 Güterzügen effizient zusammenführen? Smart Port Logistics lautet das Zauberwort.
„Als rohstoffarmes Land leben wir in Deutschland von der Kreativität und von der Innovationskraft unserer Ingenieure."
Studiengangleiter
Auf dem Weg zum Smart Port
Vier große Container-Terminals und 50 kleinere Umschlaganlagen bearbeiten jedes Jahr Millionen von Containern. Der Bus ist unterwegs zum O‘swaldkai, einem der großen vier Terminals. Es geht vorbei an der Elbphilharmonie, am maritimen Museum und vorbei an einer Diva, die sich aber keinesfalls als solche aufführt. Diva ist die Abkürzung für „Dynamische Information zum Verkehrsaufkommen im Hafen“, eine elektronische Anzeigetafel, 16 davon sind über den gesamten Hafen verteilt. Diva soll die Verkehrsströme im Hafen lenken und optimieren, elektronisch gesteuert von neuester IT-Technik mit Glasfaserkabeln und Sensoren im Straßenbelag. Das System zeigt auch Informationen über Staus und Sperrungen in Echtzeit an, und vor allem: freie LKW-Parkplätze. Die sind heute aber Mangelware im Container-Terminal O‘swaldkai. Was sich auf der Tafel andeutet, sieht die Binger Exkursionsgruppe kurze Zeit später in der Realität. Auf dem Weg zum Terminal reiht sich LKW an LKW. Alle warten darauf, etwas bringen oder holen zu können.
Nobelkarossen und alte Karren gehen auf die Reise
Der O‘swaldkai ist ein typischer Mehrzweck-Terminal für Frucht- und Autoumschlag, die größte auf rollende Verladungen spezialisierte Hafenanlage im Hafen. Es geht vorbei an endlosen Reihen alter PKW, die meisten gehen nach Lagos in Nigeria. Mittendrin zwei nagelneue, auf Hochglanz polierte S-Klassen des Mercedes-Veredlers AMG, die alle Blicke auf sich ziehen. „Die gehen sicher an einen Saudi-Scheich“, bemerkt Student Tobias Unglaub. Der Tour-Guide bestätigt. Auf dem Terminal reiht sich Container an Container, nebeneinander, übereinander. Viele von ihnen gerade eingetroffen und voll mit Bananen. Hamburg ist der wichtigste Fruchthafen Deutschlands und der größte Umschlagplatz für Bananen: 77 Millionen gehen hier wöchentlich durch. Gekühlt auf exakt 13,2 Grad reisen die noch grünen Früchte über den Atlantik, in Hamburg bleibt ihnen Zeit, um bei 17 Grad nachzureifen.
Immer optimal überwacht - kühle Bananen-Container
Der gesamte Exportprozess hier am O‘swaldkai und den anderen Terminals und Umschlagplätzen erfolgt übrigens für alle Unternehmer papierlos, über das Community-System DAKOSY. Die Zollausfuhrüberwachung läuft komplett elektronisch, schnell, effizient und papierlos. Die Meldung, dass der Container tatsächlich ausgeführt wurde, wird mithilfe einer weiteren Software vollautomatisch ausgelöst, sobald das Schiff einen Funkmast kurz vor der Nordsee passiert. Aber auch beim logistischen Problem der Kühlung ist Hamburg Vorreiter: die Container-Reederei Hamburg-Süd hat alle ihre 370.000 Kühlcontainer mit der RCM-Technologie ausgestattet. Bedeutet, dass der Kühlcontainer über Satelliten- und Mobilfunktechnologie rund um die Uhr in Echtzeit überwacht werden kann, also auch der Zustand der Ladung in seinem Inneren. Zum Beispiel Temperaturverlauf, die relative Luftfeuchtigkeit oder die Sauerstoff- und CO2-Konzentration.
Weltweites Tracking der Container ist zu teuer
Die Beladung eines Conro-Schiffs läuft gerade auf Hochtouren. 800 Container passen darauf und weitere zwei Decks mit Autos. Gleich geht es los Richtung Antwerpen. Im Shuttlebus entfaltet sich eine Diskussion zwischen dem Tour-Guide und Student Philipp Reichelt, der wissen will, ob es ein Kontrollsystem gibt, das zum Beispiel Waffenschmuggel verhindern kann. „Weiß man eigentlich immer, was genau in jedem Container ist?“, so Reichelts Frage. Der Tour-Guide verweist auf die Identifikationsnummer, die jeden Container einmalig macht, aber Gewissheit über die Ladung bringe das auch nicht. „Das würde 400 Euro kosten, um ähnlich wie bei der RCM-Technologie jeden Container mit einem Sensor zu bestücken, um Kontrolle darüber zu haben, was genau in jedem Container ist.“ Das sei schlichtweg zu teuer. An dieser Stelle, sagt er, sei die Digitalisierung des Hafens und des weltweiten Warenverkehrs ins Stocken geraten.
Kreative logistische Umsetzung weltweiter Transport- und Warenketten
Hamburgs großer Pluspunkt ist die Lage tief im Binnenland, so liegt er 200 bis 450 Kilometer näher an den mittel- und osteuropäischen Ballungszentren. Das ist für die Entwickler weltumspannender Transportketten ein Vorteil, weil Containerschiffe das mit Abstand günstigste Transportmittel sind und die Ware im Anlauf des Hamburger Hafens eine längere Strecke auf dem Schiff bleibt. Mit seinen leistungsstarken Hafenbahnanlagen und zunehmend digitalisierten Prozessen entlang der Transportkette setzt der Hamburger Hafen auch im internationalen Vergleich Maßstäbe. Für Professor Christian Reichert ist es gerade diese Kreativität im Umgang mit weltweit vernetzten Transport- und Warenketten, die für seine Studenten wichtig sind: „Als rohstoffarmes Land leben wir in Deutschland von der Kreativität und von der Innovationskraft unserer Ingenieure. Je breiter wir uns aufstellen, desto mehr werden wir zukünftig davon profitieren."
5G im Test unter industriellen Live-Bedingungen
Nach zwei Stunden ist die Tour zu Ende. „Beeindruckend“, sagt Tobias Unglaub, „wir konnten bei der Exkursion zwar nur einem groben Überblick bekommen, aber man ahnt, wie gut die Prozesse und Verfahren hier im Hafen logistisch ineinander laufen.“ Der Hafen ist ein klassisches Beispiel für die „Big-Data-Logistik“ der Zukunft. Momentan testen die Hamburg Port Authority Telekom und Nokia weltweit zum ersten Mal unter industriellen Live-Bedingungen neue Aspekte des 5G-Standards mit dem Ziel, der Digitalisierung endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Den hat die Elbphilharmonie mittlerweile geschafft. Lange Zeit war sie das Sorgenkind des Hamburger Hafens, aber schon nach kurz nach der Fertigstellung das neue Wahrzeichen des Hafens. Vor ihr posieren jetzt die Binger TH-Studenten und Professor Christian Reichert. Ein letztes Gruppenbild nach einer denkwürdigen Hafenrundfahrt.
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