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Leidenschaft für die Landwirtschaft

Sophia Schäfer

Sophia Schäfer studierte an der TH Bingen Agrarwirtschaft und arbeitet unter anderem als Mitarbeiterin im Lehr- und Demonstrationsbetrieb der TH Bingen – dem St. Wendelinhof – auf dem Rochusberg.

Sophia, viele Deiner Kommilitonen haben familiäre Bezüge zur Landwirtschaft. Die hast Du nicht. Wie bist Du denn zur Agrarwirtschaft gekommen?

Die Landwirtschaft als Berufsfeld ist tatsächlich sehr spät in meinen Fokus gerückt. In der 12. Klasse habe ich mich bewusst umgeschaut – vor allem unter der Prämisse, dass ich einen Beruf machen möchte, der mir ein Leben lang Spaß macht. Weil mein Vater einen Handwerksbetrieb hat, habe ich das Arbeiten mit den Händen schon als Kind mitbekommen. Und weil ich auch viel auf Bauernhöfen unterwegs war – in den Ferien oder in der Nachbarschaft – habe ich die Entscheidung getroffen, was in der Landwirtschaft zu machen. Zunächst wollte ich ein ökologisches Jahr in einem Demeter-Betrieb machen; auch weil mir der landwirtschaftliche Hintergrund fehlte. Aber schon nach den Probearbeiten habe ich das ökologische Jahr abgebrochen und direkt mit der Lehre angefangen.

Hattest Du da schon das Studium der Agrarwirtschaft im Sinn?

Ja. Studieren war da schon ein Thema für mich. Ich fand es für mich aber sinnvoller, erst die praktischen Grundlagen zu erlernen, um dann mit Praxisbezug zu studieren. Weil ein Teil meiner Lehre hier in der Region war, habe ich mich dann mit Bingen als Studienstandort auseinandergesetzt.

Und wie ist das Studium an der TH Bingen so? Hat sich der Wunsch nach dem Praxisbezug erfüllt?

Wir Agrarwirte sind ein eingeschworener Haufen. Das zeichnet das Studium an der TH Bingen als erstes aus. Gerade der Netzwerkgedanke ist in unserer Branche wichtig. Agrarwirte sind später in den unterschiedlichsten Bereichen zu finden – von der Chemieindustrie bis hin zur Arbeit für Verbände oder Kammern. Man begegnet sich wieder und da ist es gut, wenn man schon im Studium einen guten Kontakt zueinander oder das gleiche akademische Zuhause hatte. Der Praxisbezug im Studium ist stark. Das hat vor allem auch mit dem hochschuleigenen Lehrbetriebshof oder der Landmaschinenhalle zu tun. Wer Landtechnik als Student bewegen will, der kann das in Bingen auch tun. Meine Kommilitonen und ich leisten hier die komplette Bandbreite der Landwirtschaft auch in der Praxis ab. Stall, Feld und Labor - das sind die Arbeitsplätze von uns Studierenden.

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„Wir Agraringenieure sind ein kleiner aber eingeschworener Haufen.“

Und was ist mit der theoretischen Seite des Studiums. Hat die für Dich auch ihren Reiz?

Als Landwirtin musst du alle Bereiche deines Berufes bedienen können. Und das hat viel mit akademischem Wissen zu tun. Du musst genauso wissen, wie sich die Witterung auf chemische Prozesse im Boden auswirkt, als auch, welche Aspekte der Tiergesundheit direkten Bezug auf die Milchproduktion haben. Dazu kommt Spezialwissen in den Gebieten der Pflanzenernährung und -gesundheit, dem Ackerbau, den Wirtschafts- und Rechtsthemen und vielem mehr. Die meisten dieser Themen interagieren miteinander. Das merkt man vor allem, wenn man sich näher mit dem Thema Agrarrecht beschäftigt. Da wurde mir als Studentin wirklich bewusst, dass alles Handeln als Landwirtin auch immer eine Konsequenz an anderer Stelle hat. Diese Vielseitigkeit macht das Studium spannend.

Als Ingenieurin bist Du Akademikerin. Stört es Dich, wenn Du als "Bäuerin" bezeichnet wirst?

Früher schon. Am Anfang meiner Lehre war das durchaus ein Thema für mich. Ich habe dann betont, dass ich eine Ausbildung zur Landwirtin mache. Der Begriff "Bauer" hatte sehr lange für mich einen negativen Einschlag; vielleicht auch, weil das ein oder andere Fernsehformat seinen Beitrag dazu geleistet hat. Aber ich habe meine Einstellung zu diesem Begriff geändert. Die Bedeutung des Wortes "Bauer" bringt es ja auf den Punkt: Wir bauen an. Wir erzeugen. Wir gestalten unsere Kulturlandschaft. Wir betreiben übrigens auch Naturschutz. Ich finde schon, dass der Beruf der Bäuerin ein wertgeschätzter Beruf ist. Manchmal setzte ich den Begriff auch ganz bewusst ein. Zum Beispiel, wenn ich Führungen auf dem Wendelinhof mache. Ich habe mit den Besuchern eine ganz andere Ebene, wenn ich mich als Bäuerin vorstelle, als wenn ich sage, dass ich eine angehende Agraringenieurin bin. Manchmal wirkt der Begriff "Bäuerin" etwas altbacken und trifft meinen Alltag nicht punktgenau. Auch mein Berufsstand hat mit IT-Ressourcen oder der Digitalisierung zu tun. (grinst) Vielleicht sollte man mich dann eher als "Bäuerin 4.0" bezeichnen. 


Du schreibst gerade an Deiner Bachelorarbeit und arbeitest parallel auf dem Lehrbetriebshof der Hochschule. Jetzt hast Du Dir zusammen mit Deinem Freund einen eigenen Hof gekauft. Mehr Landwirtschaft im Leben geht nicht. Ist das nicht eine enorme Belastung?

(lacht) Ja, das stimmt. Wir haben den Hof gerade gekauft. Wir können die Landwirtschaft auf dem Hof aber mit Augenmaß entwickeln. Bis der Hof im Vollerwerb betrieben wird, wird es noch eine Weile dauern. Aber ja – natürlich bringt das Projekt Verpflichtungen und Einschränkungen mit sich. Zum Beispiel auf der finanziellen Seite, aber auch weil man sich räumlich festgelegt hat. Wir werden jetzt beide erst einmal voll arbeiten gehen, damit wir uns einen finanziellen Puffer schaffen können. Zum Beispiel für die Zeit, in der ich als Mutter von einem Kleinkind als Vollerwerbstätige ausfalle. – Die Entscheidung für den Hof war auch die Entscheidung für einen Lebensstil.

Und welcher Lebensstil ist das?

Im Wesentlichen ist es das, was in vielen landwirtschaftlichen Betrieben noch den Kern des Zusammenlebens ausmacht: der Zusammenhalt, das Zusammenarbeiten, das "Zusammen-etwas-erreichen" – wenn man es so will: das Familiäre. Man spürt das besonders zu Erntezeiten; dann, wenn der ganze "Ameisenhaufen" unterwegs ist. Alle haben dann unterschiedliche Aufgaben, aber alle arbeiten für das gleiche Ziel. Es ist ein besonderes Gefühl, wenn alle zusammenkommen, zum Beispiel zum Mittagessen. Das macht für mich echte Lebensqualität aus. Für diese Qualität arbeite ich gerne. Und meine Begeisterung dafür möchte ich auch an meine Kinder weitergeben. Mit dem Hof haben wir uns jetzt erst einmal viel Lebensgefühl gekauft und das müssen wir uns jetzt – Stück für Stück – in die richtige Realität bringen.

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An unserer Hochschule gibt es viele großartige Wissenschaftlerinnen und Ingenieurinnen. Auf unserer Seite WINGS - Frauen & MINT stellen wir einige ihrer Geschichten vor. Damit möchten wir auch andere Frauen bestärken, ihre Karriere in den MINT-Fächern, das heißt Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, zu starten.

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