Ringvorlesung: Intersektionale Perspektiven auf Gender und Widerstand
Im Wintersemester 2025/26 findet die fünfte Ringvorlesung mit dem Fokus auf Intersektionalität und Gender statt. Dieses Mal widmet sich die Reihe dem Widerstand und öffnet damit diverse Perspektiven, die wir in Diskussionen vertiefen und neue Impulse für heutige Herausforderungen setzen wollen.
Aktuelle antifeministische Diskurse und Politiken sowie Angriffe auf geschlechtliche Selbstbestimmung erzeugen eine neue Dringlichkeit bezüglich der Frage nach möglichem Widerstand. Die interdisziplinäre Ringvorlesung beleuchtet Formen, Praktiken, Strategien und Geschichten der Gegenwehr, die sich in aktivistischen Bewegungen, in künstlerischen Praktiken oder im Alltag zeigen. Die Ringvorlesung geht der Frage nach, welche widerständigen Praktiken als strategische Werkzeuge dienen, die Gewalt aufzeigen und Machtverhältnisse verschieben können.
Wir laden alle Interessierten herzlich ein und freuen uns auf den Austausch!
Organisiert von Kerstin Brandes, Universität Bremen | Linda Hentschel, Kunsthochschule Mainz | Thari Jungen, Kunstuniversität Linz | Friederike Nastold, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg | Julia Reichenpfader, Studienprogramm Q+, JGU Mainz.
08.12.2025 | Barbara Paul & Andrea Seier | Betroffenheit verteidigen? Praktiken der (Selbst-)Politisierung in Kunst und audiovisueller Kultur
Betroffenheit wird aktuell kontrovers diskutiert und nicht selten in Registern des Politischen ausgelotet, reklamiert, abgesprochen. In diesem Kontext fragt das von uns herausgegebene Buch zu Betroffenheit, das hier vorgestellt werden soll, nach den Möglichkeiten eines produktiven Umgangs mit Betroffenheit. Die Vorstellung einer unmittelbar gegebenen Betroffenheit wird dabei zurückgewiesen und stattdessen aus der Perspektive eines Betroffen-Werdens argumentiert. Betroffenheit wird als spezifische Form eines ebenso verkörperten, gefühlten und diskursiven Wissens verstanden, das individuelle Erfahrungen immer schon an ihre soziokulturellen, medialen und ästhetischen Gefüge koppelt, und als Praktik der (Selbst-)Politisierung auf ihre mediale Performativität, audiovisuelle Repräsentation und ihre diskursiven Umwertungen hin untersucht. Dabei geht es – im Feld von Geschlecht, Sexualität, Begehren, race und Klasse sowie zusammen mit Fragen von Verletzbarkeit, Scham, Emanzipation und Empowerment – um die Verteidigung von Betroffenheit. Beispiele gibt es viele: vom feministischen Künstlerinnenbuch und Queer Punk-Produktionen über Aufmerksamkeitsökonomien in Me-Too-Debatten hin zu Arbeiten von Paul B. Preciado.
Barbara Paul ist Professor*in für Kunstgeschichte an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und stellvertretende Direktor*in des Zentrums für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, 2013-2016 Sprecher*in des Helene-Lange-Kollegs „Queer Studies und Intermedialität: Kunst – Musik – Medienkultur“ und 2017-2020 Sprecher*in des Forschungsverbundprojekts „Geschlechterwissen in und zwischen den Disziplinen. Kritik, Transformation und 'dissidente Partizipation'“. Publikationen zuletzt u.a.: Alles eine Frage der Klasse?! Klassenübergänge, Geschlecht/er und Beschämung in den Graphic Novels Scheiblettenkind (2022) und Madgermanes (2016). In: Feministische Studien 43, 2025, H. 1: Artikulationen von Klasse und Geschlecht, S. 33-56 (zus. mit Friederike Nastold); Geschlechterwissen in und zwischen den Disziplinen, Hg. mit Corinna Bath und Silke Wenk, 2020; Perverse Assemblages. Queering Heteronormativity Inter/Medially, Hg. mit Josch Hoenes u.a., 2017.
Andrea Seier ist Professorin für „Kulturgeschichte audiovisueller Medien“. Als Gast- und Vertretungsprofessorin war sie an der Freien Universität Berlin, Universität Konstanz, an der Ruhr-Universität Bochum und an der Universität Wien tätig. Ihre Habilitationsschrift ist unter dem Titel «Mikropolitik der Medien» (2019) erschienen. Forschungsschwerpunkte: Medien und Selbsttechnologien, Klassenverhältnisse und soziale Im/Mobilität in Medien, Theorien der Schwäche: Betroffenheit, Anhänglichkeit, Passivität, Gender & Medien, Performativitätstheorien
15.12.2025 | Cecilia Valenti | Für ein Drittes Fernsehen. Ateyyat Al Abnoudy im ZDF der 80er
Ende der 1970er-Jahre begann “Das kleine Fernsehspiel” (DkF) — eine Redaktionsabteilung innerhalb des öffentlich-rechtlichen TV-Senders ZDF, die sich auf die Förderung von Debüt- und Experimentalfilmen spezialisiert hat —, es als Teil seiner Mission zu sehen, Filme aus der sogenannten Dritten Welt zu co-produzieren und auszustrahlen. Vor dem Hintergrund des politischen Horizonts eines "Dritten Fernsehens" (Chanan) reichte 1986 die ägyptische Dokumentarfilmerin Ateyyat El Abnoudy beim “Kleinen Fernsehspiel” einen Vorschlag für einen einstündigen Dokumentarfilm mit dem Titel Abnoud and a Life Cycle ein. Dies markierte den Beginn von Verhandlungen, die schließlich zur Unterstützung durch ZDF sowie den britischen Sender Channel Four führten. Mein Vortrag basiert auf Nachforschungen im Produktionsarchiv des ZDF sowie auf Ansätzen der Critical Infrastructure Studies und untersucht Ateyyat El Abnoudys Zusammenarbeit mit dem “Kleinen Fernsehspiel” als Fallstudie einer Nord-Süd-Koproduktion im Kontext entwicklungspolitischer und staatlich-kritischer Medien. Dabei interessiert mich insbesondere, wie das machtvolle Narrativ eines "timeless peasant life" (Mitchell) — verstanden als subalterner Widerstand gegen den Wandel und in Archivalien zu El Abnoudys Film dokumentiert — durch die Ästhetik von El Abnoudys Film sowohl verhandelt als auch hinterfragt wird.
Cecilia Valenti ist Film- und Kulturwissenschaftlerin und hat die Juniorprofessur für Film- und Medienwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz inne. Ihre Dissertation Das Amorphe im Medialen: Zur politischen Fernsehästhetik im italienischen Sendeformat Blob ist 2019 im Transcript Verlag erschienen. Gemeinsam mit Nikolaus Perneczky vollendet sie zurzeit den Sammelband Restitution and the Moving Image: On the Politics and Ethics of Global Audiovisual Archiving (Amsterdam University Press, 2025). Außerdem arbeitet sie an ihrer zweiten Monografie, einer globalkritischen Mediengeschichte von Nord-Süd-Kooperationen.
12.01.2026 | Josephine Apraku |Wie Widerstand? Eine intersektionale Perspektive auf Widerstand im Alltag
Josephine Apraku beleuchtet im Vortrag, wie gesellschaftliche Machtverhältnisse Diskriminierung und Othering-Prozesse hervorbringen – und wie Menschen diesen mit alltäglichen Formen von Widerstand begegnen. Aus intersektionaler Perspektive zeigt Josephine, wie komplex die Überschneidungen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und weiteren Diskriminierungsformen sind, und wie wichtig es ist, die eigenen Ressourcen im Kontext von Widerstand zu reflektieren. Widerstand kann leise oder laut sein, individuell oder kollektiv, geplant sowie spontan sein – er ist immer kontextabhängig. Josephine Apraku fragt, welche Rolle Fach- und Erfahrungswissen, Positionierungen und Gemeinschaft für widerständiges Handeln spielen – und was es braucht, um diesen Weg langfristig gehen zu können.
Josephine Apraku ist Afrikawissenschaftler*in, Autor*in, Podcaster*in und Referent*in für intersektionale rassismuskritische Bildungsarbeit. Neben mehreren Sach- und Kinderbüchern hat Josephine unter anderem für Magazine wie das Missy Magazine oder Vogue Germany geschrieben. Außerdem organisiert Josephine die monatliche Soli-Lesereihe »In guter Gesellschaft«, mit der Geld für Initiativen gesammelt wird. Josephines Arbeit bewegt sich zwischen Kritik und Utopie – mit dem Ziel, Unterdrückung sichtbar zu machen und kollektive Veränderung anzustoßen.
19.01.2026 | Sabine Hark | Genderwahn und Sprachpolizei. Toxische Diskurse und unheimliche Allianzen
Der Vortrag rückt die vehemente Ablehnung von Gender Studies und geschlechtlicher Selbstbestimmung als Teil eines reit angelegten Kulturkampfs in den Blick. Begriffe wie „Genderwahn“ und „Sprachpolizei“ dienen der Diffamierung wissenschaftlicher Arbeit und der Delegitimierung politischer Gleichheitsforderungen. In der Melange aus Verschwörungsmythen, Ressentiments und moralischer Empörung formiert sich eine unheimliche Allianz rechter, konservativer und teils auch feministischer Stimmen. Der Diskurs ist von Eskalation, Denunziation und irrationaler Aufladung geprägt – mit dem Ziel, Gender als vermeintliche Bedrohung gesellschaftlicher Ordnung zu inszenieren und progressive Errungenschaften rückgängig zu machen.
Sabine_ Hark, Professur für Interdisziplinäre Geschlechterforschung an der TU Berlin. Jüngste Veröffentlichungen: Die ungleiche Universität. Diversität, Exzellenz und Anti-Diskriminierung (zusammen mit Johanna Hofbauer) Wien 2023 (Passagen Verlag). Gemeinschaft der Ungewählten. Umrisse eines politischen Ethos der Kohabitation. Berlin 2021 (edition suhrkamp 2774)
Kontakt
5-205